Vor 31 Jahren führte „exklusive Moral“ zum Paradigmenwechsel in der Politik

Dr. Johannes Schönner, Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts

Vor 31 Jahren führte „exklusive Moral“ zum Paradigmenwechsel in der Politik

Das sogenannte Ausländervolksbegehren im Jänner 1993 – als „Österreich zuerst“-Volksbegehren von der FPÖ eingebracht – markiert einen bis dahin unbekannten Einschnitt in der österreichischen Innenpolitik. Die Ereignisse vor 30 Jahren gelten als Triumph einer unangreifbaren Moral über eine vermeintlich zynische Spaltung der Gesellschaft und als „zivilgesellschaftlicher Widerstand“ gegen eine „rechte Hetze“. Doch wie sieht der Blick von heute auf diese Eskalation vor drei Jahrzehnten aus? Was wurde aus den Forderungen des Volksbegehrens unter Jörg Haider, die damals als eine Konfrontation zwischen Gut und Böse, zwischen Menschlichkeit und Zynismus dargestellt wurde? Sogar im Haus der Geschichte in der Hofburg zeigt sich im Jahre 2023 diese Erzählung mit dem folgenden „Lichtermeer“ am Heldenplatz als eine Art Schwarz-weiß-Malerei.

Die innenpolitische Situation war 1992 angespannt wie noch selten zuvor. Rot und schwarz ordneten alle ihre politischen Schritte dem bevorstehenden EG/EU-Beitritt und dem dafür als Voraussetzung dienenden EG-Referendum unter. Bei allen kurz zuvor stattgefundenen Landtags- und Gemeinderatswahlen drängte eine anstürmende Haider–FPÖ die im Bund regierenden Koalitionspartner SPÖ und ÖVP in die Defensive.

Das damalige „Ausländerthema“ war vorrangig eine Folge der Balkan-Kriege im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens, und hier ging es für Österreich vor allem um die Verteilung der bosnischen Flüchtlinge. Die Zahlen der Flüchtlinge aus dem Gebiet des damaligen Jugoslawiens überstiegen die Ungarn-Flüchtlinge 1956 und jener der Tschechoslowaken 1968 bei weitem. Nachdem die FPÖ mit einem parlamentarischen Sonderausschuss am Widerstand aller anderen Parteien im Nationalrat gescheitert war, initiierte Haider im Oktober 1992 das Volksbegehren schließlich mit 12 Forderungen:

Verfassungsbestimmung „Österreich ist kein Einwanderungsland“; Einwanderungsstopp bis zur befriedigenden Lösung der illegalen Ausländerfrage, bis zur Beseitigung der Wohnungsnot und Senkung der Arbeitslosenquote auf 5 Prozent; Ausweispflicht für ausländische Arbeitnehmer am Arbeitsplatz; Aufstocken der Exekutive, sowie deren bessere Bezahlung und Ausstattung zur Erfassung der illegalen Ausländer; sofortige Schaffung eines ständigen Grenzschutzes statt eines Bundesheereinsatzes; Entspannung der Schulsituation durch Begrenzung des Anteils von Schülern mit fremder Muttersprache in Pflicht- und Berufsschulklassen; Entspannung der Schulsituation durch Teilnahme am Regelunterricht nur bei ausreichenden Deutschkenntnissen; kein Ausländerwahlrecht bei allgemeinen Wahlen; keine vorzeitige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft; rigorose Maßnahmen gegen illegale Tätigkeiten in Ausländervereinen und Ausländerklubs und gegen Missbrauch von Sozialleistungen; sofortige Ausweisung und Aufenthaltsverbot von ausländischen Straftätern; Errichtung einer Osteuropa-Stiftung zur Verhinderung von Wanderbewegungen.

Diese Forderungen wurden als „unverantwortliches Spiel mit Emotionen“ gebrandmarkt. Die Verwerfungen, die nach dem Volksbegehren zutage traten, waren enorm: Spaltung innerhalb der FPÖ, die Dämonisierung eines Themas, das fortan nur noch als „bist du dafür?“ oder „bist du dagegen?“ beleuchtet werden konnte, und schließlich ein Gewaltausbruch im selben Jahr mit den Briefbombenanschlägen, die sich bis 1997 zogen. Erst dann wurde Franz Fuchs als Einzeltäter verhaftet.

Bemerkenswert war eine Reaktion der Landeshauptleute Ende November 1993. Alle Landeshauptleute – mit Ausnahme der SP-Länder Wien und Burgenland – beschlossen eine Resolution, die das in der Bevölkerung vorhandene Unbehagen hinsichtlich des zunehmenden Steuerungsverlustes beim Thema Migration und Flüchtlinge ansprach. „Ethnische, soziale, religiöse und wirtschaftliche Konflikte sind an der Tagesordnung. Terrorismus und organisiertes Verbrechen machen vor unseren Staatsgrenzen keinen Halt. Wir, die Landeshauptleute, beobachten diese Entwicklung mit großer Sorge. In der österreichischen Bevölkerung steigt das Bedürfnis nach äußerer und innerer Sicherheit. Es ist die grundsätzliche Verpflichtung unseres Staates, diesem Sicherheitsaspekt gebührend Rechnung zu tragen.

Im Gegensatz zum Bund nahmen die Länder hier besorgte Stimmen in der Bevölkerung wahr.

Es ist eine Tatsache, dass einige der damaligen Forderungen mittlerweile umgesetzt wurden, ernsthaft diskutiert werden oder zumindest zum Forderungskanon der Parteien rechts der Mitte zählen, soweit dies im Rahmen des EU-Rechts möglich ist. Dazu ist auch der rechte Flügel der SPÖ zu rechnen. Im Lichte der nach 1993 folgenden drei Jahrzehnte eines permanenten Kontrollverlustes im Bereich der illegalen Migration und einer zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung zur herrschenden Politik war dies in der Wahrnehmung der entsprechenden Parteien wohl eine notwendige und pragmatische Entscheidung.