75 Jahre „Anschluss“ – 68 Jahre Befreiung 1938 bis 1945 – aus der Vergangenheit lernen?

Gegenwärtige Herausforderungen und Konzepte für die Zukunft

Mehr als 350 Teilnehmer an dieser Veranstaltung im Landtagssaal des Niederösterreichischen Landhauses bewiesen die Aktualität und das Interesse am Thema des Abends. Eingeladen hatten neben dem Karl von Vogelsang-Institut auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Israelitische Kultusgemeinde und das Karl Renner-Institut. Am Podium waren sowohl Zeithistoriker wie Univ.-Prof. Dr. Gerhard Botz, Priv.-Doz. Dr. Helmut Wohnout, und Priv.-Doz. Dr. Heidemarie Uhl anwesend, wie auch Vertreter von Gedenkstätten und von Organisationen (Dr. Jörg Skriebeleit/KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und Werner Dreier/erinnern.at) , die das Erinnern und Bewahren in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.

Der Moderator des Abends, Dr. Andreas Koller (Salzburger Nachrichten) betonte gleich zu Beginn die Wichtigkeit der Veranstaltung vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen und Erscheinungen zu Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.


Jörg Skriebeleit beschrieb die Erinnerungskultur in Deutschland, die sich in manchen Bereichen von der Situation in Österreich unterscheidet. Während für Deutschland 1933 das zentrale Datum des nationalsozialistischen Aufstiegs darstellt, ist für Österreich der „Anschluss“ 1938 die historische Zäsur. Als einer der ersten an diesen Abend sprach Skriebeleit oftmalige „Pathosformeln mit einer universalen Werteforderung“ an. Gleichsam „DIN- genormt“ würden (Pflicht-)Rituale ein ehrliches Gedenken an Shoa und NS-Terror gelegentlich überlagern.


Seitens der Israelitischen Kultusgemeinde kritisierte Raimund Fastenbauer den alltäglichen Umgang der Österreicher mit ihrer Geschichte. Kritik übte er an allen Tendenzen, einen Schlussstrich unter die Ereignisse der Jahre 1938 bis 1945 ziehen zu wollen. Fastenbauer stellte auch zur Diskussion, inwieweit Heldengedenken gefallener österreichischer Soldaten des Zweiten Weltkriegs nicht zur Ehrung der Aggressoren diene. Der aktuelle Rechtsextremismus in Osteuropa erfordere eine besondere Wachsamkeit der Staaten, die sich Erinnerungskultur zur politischen Aufgabe gemacht haben.


Die Historiker Uhl und Botz hoben jahrelange Versäumnisse des offiziellen Österreichs hervor. Dass erst kürzlich ein Desserteursdenkmal durch die Republik beschlossen wurde, sei ein jahrelanges Desiderat gewesen. Gerhard Botz begrüßte ausdrücklich die jüngste Aussage von Bundespräsident Heinz Fischer, dass in der Erinnerung Österreichs der 11. und 12. März 1938 als „Tage der Schande“ bewertet werden müssen.


Helmut Wohnout seinerseits hob die Komplexität der Geschichtsabläufe hervor. Sowohl der politische Überlebenskampf der  österreichischen Regierung vor dem März 1938, als auch die Situation bei Gründung der Zweiten Republik im Jahre 1945, das damals neu erwachte „Österreich- Gefühl“ in bewusster Abgrenzung zu Deutschland in der ersten Phase der Zweiten Republik, müssen in der historischen Erinnerungskultur Österreichs ihren Platz finden.
Wohnout betonte anknüpfend an Gerhard Botz das Ineinandergreifen mehrerer Handlungsebenen im März 1938: Die Ebene der „pseudorevolutionären Machtergreifung von unten“, jene der „scheinlegalen“ Machtergreifung von oben“, aber auch jene der „übermächtigen Intervention von außen“. Mit Blick auf die zahlreichen illegalen Nationalsozialisten, die politischen Mitläufer und die Opportunisten könne und solle durchaus vom 11. März und der Zeit unmittelbar danach als „Tagen der Schande“ gesprochen werden. Genauso bleibe es aber wesentlich, dass Österreich als Staat einer militärischen Aggression wich, die innerstaatliche „Machtergreifung“ auch als Konsequenz der nationalsozialistischen Politik der Drohungen und militärischen Erpressungen zu sehen ist. Insofern bleibe der Satz Kurt Schuschniggs in seiner Radiorede vom Abend des 11. 1938,wonach Österreich der Gewalt weiche, ebenso ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

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