Kommentar von KVVI-GF Schönner: “Jetzt is’ er weg, der Dollfuß!”

“Jetzt is’ er weg, der Dollfuß!”

Mit überaus großem Bedauern haben manche Historiker auf die Entnahme der Leihgaben des Dollfuß-Museums im Mostviertel durch die NÖ Landessammlungen reagiert. Nur zur Verdeutlichung des bisher Geschehenen: Die privaten Leihgaben wurden aus einem lokalen Heimatmuseum in die einstweilige Verwahrung der Landessammlungen übernommen. Der zum Teil heftige Aufschrei stellte – für einige überraschend, für viele nicht überraschend – eindrucksvoll unter Beweis, dass links sozialisierte Publizisten und Historiker oftmals leidenschaftlicher an einem “präsenten Dollfuß-Vermächtnis” hängen, als dies bei dem sogenannten “bürgerlichen Element” in diesem Land der Fall ist. Wie ist dies möglich? Stehen nicht alle nichtsozialistischen Kräfte per se unter Generalverdacht, Dollfuß-Verklärer und Apologeten der seinerzeitigen Dollfuß/Schuschnigg-Zeit zu sein? Ein kurzer Befund der aktuellen Betrachtung zu diesem Thema auf bürgerlicher Seite erscheint sinnvoll. Seit Jahrzehnten wurde die österreichische Zwischenkriegszeit verstärkt einer selbstkritischen Reflexion unterzogen. Man wird den Begriff “Heldenkanzler” als positiven Terminus vergebens suchen. Längst erscheint die überfällige Abnahme des Gemäldes von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Parlamentsklub in Wien als Common Sense. Es herrscht bei allen bekannten bürgerlichen Historikern und relevanten Mandataren die absolute Überzeugung vor, dass die politischen Weichenstellungen durch Dollfuß der Jahre 1932 bis 1934 mit dem parlamentarischen Verständnis der Gegenwart unvereinbar sind. Hinzu kommen die verhängten Todesurteile gegen Anführer der sozialdemokratischen Februaraufstände, die politisch und vor allem menschlich nur als Katastrophe gelten können.

Alle historischen Fakten liegen am Tisch, und sind für alle Interessierten seit Jahrzehnten sichtbar. Das betrifft in- und ausländische Quellen. Alleine die Bewertung zeigt den Unterschied. Die ÖVP könnte im Grunde diese historische Debatte ohne allzu große Emotion verfolgen, denn als Neugründung des Jahres 1945 knüpfte die Volkspartei inhaltlich und – zu einem nicht unbeträchtlichen Teil – auch personell nicht an die Christlichsoziale Partei oder die folgende Einheitsbewegung “Vaterländische Front” an. Leopold Figl betonte bereits beim ersten Bundesparteitag 1947, dass sich die neue Volkspartei von den Vorgängen des Jahres 1934 distanziert, diese als überwunden ansieht und nur im Miteinander eine Zukunft für das Land erkennt. Die Sozialdemokratie des Jahres 1945 sah sich – aus mehrerlei Gründen – in direkter Kontinuität zur früheren SDAP.

An dieser Stelle soll dezidiert darauf verwiesen werden, dass SPÖ und ÖVP bereits im Februar 1964, repräsentiert durch die beiden Zeitzeugen Alfons Gorbach und Bruno Pittermann, von eigenen beidseitigen Fehlern im Jahre 1934 gesprochen haben, und ausschließlich nur darin ein Überwinden der bestehenden Gräben für möglich hielten. Weshalb bleibt es nun auf bürgerlicher Seite nicht still? Einzig die linken Versuche, die Dollfuß/Schuschnigg-Regierung als direkten Wegbereiter zum Nationalsozialismus zu deuten, fordert einen kompromisslosen Widerspruch des nichtsozialistischen Lagers heraus. Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Es ist die Unterstellung, dass der Faschismus als Phänomen der Zwischenkriegszeit personell wie inhaltlich in Österreich den Boden für den Nationalsozialismus vorbereitete. Dem Sozialdemokraten Anton Pelinka sei Dank für die Strukturierung und Einordnung des Begriffes “Faschismus”. Man muss nicht mit jeder seiner Schlussfolgerungen einverstanden sein, um die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Abstufung von „Faschismen“ für sinnvoll und notwendig zu erachten. Die unverhohlene sozialdemokratische Zielsetzung einen „neuen Menschen“ schaffen und den kulturellen Bildungskanon durch sozialistische Prioritäten absolut ersetzen zu wollen, schürte die Angst vor einer realen „Bolschewisierung“ in Österreich. Die Drohung mit einem Generalstreik als Ultimo Ratio der Sozialdemokratie wird darüber hinaus nicht dem Bild gerecht, alle politischen Auseinandersetzungen im Parlament führen zu wollen. 

Die aktuellen Angriffe sollen die bürgerlichen, politischen Kräfte in eine anhaltende Rechtfertigungssituation bringen. Weshalb eigentlich? War es nicht vielmehr die österreichische Sozialdemokratie, die längstens ab 1932 ein gewisses Verständnis für die Säuberungen unter Josef Stalin in der Sowjetunion hatte und hier besonders dem Holodomor in der Ukraine (vielleicht heute sogar aktueller als das Thema Dollfuß!) Verständnis entgegenbrachte? Leitartikel in der sozialdemokratischen Arbeiterzeitung lassen hier keine Zweifel bestehen. Für zahlreiche sozialdemokratische Funktionäre führte die Politik in Österreich über den (ideologischen) Umweg nach Moskau. Dass nach der Niederschlagung des Februar-Aufstandes sozialistische Kämpfer und linke Agitatoren zu Hunderten auch real in die Sowjetunion flüchteten, hatte einen Grund. Diese Sympathie betraf nicht nur die „Revolutionären Sozialisten“, sondern auch linke Sozialdemokraten. Die aktuelle Betrachtung der Persönlichkeit von Engelbert Dollfuß ist um eine ehrliche Facette reicher, wenn man den Austromarxismus nicht nur als eine intellektuelle Spielart betrachtet. Zumindest nicht ausschließlich. Vielmehr brachten marxistische Strategieüberlegungen zur Erringung der Macht, auch eine Gewaltbereitschaft auf linker Seite zum Vorschein, die jetzt gerne ausgeblendet wird. Für eine Partei, die sich mantraartig als immerwährend “auf der richtigen Seite der Geschichte” stehend verortet, ist dies eine bemerkenswerte Position. Die augenscheinliche Krise der Zwischenkriegszeit erreichte in den frühen 1930er Jahren ihren leidenschaftlichen Höhepunkt. Beide großen politischen Lager befanden sich in einem Spannungsfeld der moderaten Parteigänger und der extremen Positionen. Beide Lager mussten ihre Ränder in Zaum halten, deren Protagonisten eine klare Entscheidung suchten. Nur zur Erinnerung: Im Februar 1934 hielten die Linken in der SDAPÖ sich nicht mehr an die Parteidisziplin und schlugen ohne ausdrückliche Genehmigung der Parteiführung in Wien zu und griffen zur Gewalt. Der Historiker Kurt Bauer skizzierte in seinem vor wenigen Jahren erschienen Buch „Der Februaraufstand 1934“ diesen Umstand fakten- und quellenreich.

Es geht nicht darum, einzelne Personen (und deren museale Relikte) „abzuwickeln“, zu dämonisieren und schon gar nicht, in Einzelbereichen zu rehabilitieren. Es geht darum, Motive – ehrliche wie verwerfliche – ungeschönt zu benennen. Die Bereitschaft auch eigene Versäumnisse zu benennen, zählt dazu.

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