Gastkommentar Prof. Schausberger im “Der Standard” 17.02.2024: Februar 1934: Wir waren doch schon viel weiter!

Februar 1934: Wir waren doch schon viel weiter!

Hier die Guten – dort die Bösen? Die SPÖ will alte Gräben aufreißen. Wieso nur? Einstige Annäherungen scheinen vergessen. Es wäre an der Zeit, eine gemeinsame Geschichtsschreibung zu versuchen

Der ehemalige Salzburger Landeshauptmann und Historiker Franz Schausberger plädiert in seinem Gastkommentar für ein gemeinsames Gedenken von SPÖ und ÖVP an das Jahr 1934.

Vor allem von sozialdemokratischen Politikern wurde in den letzten Tagen wieder einmal (zum wievielten Mal) die Erinnerung an die Februar-Ereignisse des Jahres 1934 zu pathetischen Erklärungen genützt: hier die Guten – dort die Bösen. Der niederösterreichische SPÖ-Parteivorsitzende peitschte seine Zuhörerschaft in Wöllersdorf mit der Ansage auf, man werde nicht vergessen, dass es die “Vorläufer der ÖVP” waren, die die erste Diktatur in Österreich errichteten. Was soll das bringen?

Man spricht zwar davon, dass man Hass und Spaltung verhindern wolle, legt aber gleichzeitig ein polarisierendes Schäuflein nach. Und wirft Austrofaschismus und Nationalsozialismus gleich in einen Topf, mit der Absicht, die heutige ÖVP anzuschütten. Wir sind schon einmal viel weiter gewesen: 1964 standen ÖVP-Bundeskanzler Alfons Gorbach (kam schon im ersten Prominententransport 1938 ins KZ Dachau) und SPÖ-Vizekanzler Bruno Pittermann gemeinsam vor der Gedenkstätte der Opfer des Februar 1934 und besiegelten mit einem Händedruck, gemeinsam alles tun zu wollen, damit solche Ereignisse nicht mehr vorkämen. Gorbach sprach von “Mut zur Selbstkritik” und Pittermann von “aus Irrtümern lernen”.

Gedenken 1934 ÖVP SPÖ

Im Jahr 2014 gab es ein gemeinsames Gedenken an den Februar 1934: der damalige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ, re.) und sein Vize Michael Spindelegger (ÖVP) auf dem Zentralfriedhof. Foto: Cremer

In gleicher Weise versicherten einander dies der SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann und sein ÖVP-Vize Michael Spindelegger 2014 bei einem gemeinsamen Gedenkakt. Heuer schloss die SPÖ dezidiert ein gemeinsames Gedenken mit der ÖVP aus. Für die ÖVP erklärte Klubobmann August Wöginger, dass “der Umgang mit der Geschichte immer von einem sachlichen Zugang aus und nicht von Zorn geleitet” erfolgen solle. Man möge bedenken, dass es neben einem “Entweder-oder” auch ein “Sowohl-als-auch” geben könne.

Porträt entfernt

Als “Koalitionsgeschichtsschreibung” werden die Bemühungen abqualifiziert, diese bösen Phasen der österreichischen Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Die Folge ist eine neuerlich stärkere parteipolitische Instrumentalisierung dieser Periode der österreichischen Geschichte durch – man verzeihe – historisch nicht übermäßig sattelfeste Politiker vor allem der Linken, unterstützt durch das Streben jüngerer Historiker nach Profilierung entlang des linken Mainstreams.

Auf der Seite der ÖVP wurde schon einiges entschärft: Das Porträt des umstrittenen Kanzlers Engelbert Dollfuß wurde aus dem Parlamentsklub entfernt, Bundeskanzler Karl Nehammer erklärte schon im Dezember 2021, dass er mit dem Begriff Austrofaschismus auch im Hinblick auf den Austromarxismus kein wirkliches Problem habe. Und dass die vollstreckten Todesurteile absolut inakzeptabel seien. Das Dollfuß-Geburtshaus wurde geschlossen, die ausgestellten Gegenstände den Eigentümern auf deren Wunsch zurückgegeben. Ist es so schwer, solche Haltungen auch einmal als positiv zu bewerten?

Ist es trotz aller Bedenken gegen ihn so schwer anzuerkennen, dass Dollfuß im Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror von den Nazi-Putschisten ermordet wurde? Ist es wirklich zielführend, sich in jahrelangen hochtheoretischen Diskussionen an der Frage zu ereifern, ob das Dollfuß-Regime nun austrofaschistisch, halbfaschistisch, regierungs- oder kanzlerdiktatorisch zu bezeichnen sei? Ist nicht aus heutiger Sicht alles gleich abzulehnen? Waren nicht in Europa weitere 13 Länder Diktaturen? Könnte man vielleicht auch von der linken Seite einmal eingestehen, dass es ein Fehler war, die Angebote von Ignaz Seipel (1931) und Dollfuß (1932) zur Zusammenarbeit abzulehnen und auf Neuwahlen zu bestehen, weil man hoffte, dass durch ein starkes Anwachsen der Nazis die Christlichsoziale Partei an die dritte und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) an die erste Stelle rutschen würde? Oder dass man seitens der Sozialdemokratie ehrlicherweise gar nicht zurück zur parlamentarischen Demokratie wollte, sondern endlich zur “Diktatur des Proletariats” (Richard Bernaschek)?

Lehren ziehen

Vielleicht könnte man sich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik auf die Ergebnisse der soliden und auf Fakten basierenden Forschungsergebnisse von Kurt Bauer einigen, wonach die Vorgänge in Österreich im Februar 1934 tatsächlich als innere Unruhen oder als Aufstand, aber keinesfalls als Bürgerkrieg (wie etwa in Spanien) zu werten sind. Das macht die Sache zwar nicht besser, nimmt aber doch Schärfe aus der Diskussion.

Die beiden Lager, die sich damals erbittert gegenüberstanden, haben durch das gemeinsame Leiden im Nationalsozialismus Demokratie gelernt und sich klar als Demokraten erwiesen. Mir erscheint es völlig sinnlos, sich heute an diesen Themen zu erhitzen. Im Gegenteil: Es wäre höchst an der Zeit, Historikerinnen und Historiker aller Provenienzen zusammenzuholen, um zu gemeinsamen Bewertungen und Begriffen zu kommen, die dann von allen politischen Gruppierungen, gleich ob in Regierungsverantwortung oder nicht, akzeptiert werden können. Das würde erlauben, wichtige Lehren für die Zukunft zu ziehen. (Franz Schausberger, 17.2.2024)

Franz Schausberger ist Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte und Präsident des Karl-von-Vogelsang-Instituts. Von 1996 bis 2004 war er Landeshauptmann von Salzburg.

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