In Memoriam des 100. Geburtstages von Dr. Karl Schleinzer

In Memoriam des 100. Geburtstages von Dr. Karl Schleinzer

Das „Salzburger Programm“ der ÖVP und eine grundlegende Reform der Parteiorganisation bleiben untrennbar mit seinem Namen verbunden.

Eine Würdigung von LH a.D. Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger

Karl Schleinzer wurde am 8. Jänner 1924 in Frantschach-Sankt Gertraud im Lavanttal als Sohn eines kleinen Bergbauern geboren. Als er nicht einmal sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule absolvierte er 1938/39 eine Landarbeitslehre in Rheinhessen, anschließend die Landwirtschaftsschule in St. Andrä im Lavanttal. Über ein Stipendium („Langemarckstudium“) sollte er die Hochschulreife erreichen. Nach der Ablegung der Matura in Königsberg wollte er als 18-jähriger 1942 in die NSDAP eintreten und wurde im Frühjahr 1943 zur Wehrmacht einberufen.[1] Den Krieg beendete er 1945 als Leutnant in britischer Kriegsgefangenschaft. Von dort kehrte er zunächst auf den elterlichen Hof zurück. Nachdem das Langemarckstudium von Unterrichtsminister Felix Hurdes nicht als Zulassung für das Hochschulstudium anerkannt wurde, legte Schleinzer die geforderte Fachreifeprüfung ab und begann 1948 das Studium an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. Ende 1951 graduierte er zum Diplomingenieur und promovierte schließlich 1952 zum „Doktor der Bodenkultur“ mit Auszeichnung. Am 16. Februar 1946 heiratete er die Bauerntochter Margaretha Morak.[2]

Nach Beendigung des Studiums war er zunächst in der Landwirtschaftskammer in Klagenfurt tätig und engagierte sich bald im Bauernbund der ÖVP. 1954 wechselte er in das Agrarreferat der Kärntner Landesregierung. Politischer Agrarreferent war damals der ÖVP-Landeshauptmann-Stellvertreter Hans Ferlitsch. 1957 übernahm Schleinzer die Geschäftsführung des Kärntner Bauernbundes. Bereits ein Jahr zuvor war er als Abgeordneter in den Kärntner Landtag gewählt worden. Der junge Abgeordnete profilierte sich landespolitisch sehr rasch und wurde bereits 1959 in Nachfolge von Hermann Gruber einstimmig zum ÖVP-Landesparteiobmann gewählt.[3] Bei der Landtagswahl im März 1960 erzielte die Kärtner ÖVP mit Karl Schleinzer als Spitzenkandidaten – trotz bundespolitischen Gegenwinds – mit einem kleinen Gewinn von 0,6 Prozentpunkten und mit 33,3 Prozent das beste von der ÖVP in Kärnten je erzielte Ergebnis. Die ÖVP hatte mit einem detailliert ausgefeilten Wahlprogramm überrascht, das die Handschrift des für seine Gründlichkeit bekannten neuen Parteiobmannes trug.[4] Schleinzer übernahm als Landesrat das Agrarressort, wurde aber schon bald darauf, im Frühjahr 1961, von Bundeskanzler Alfons Gorbach als bis dahin jüngstes Regierungsmitglied der 2. Republik zum Verteidigungsminister berufen.[5] Sowohl in Kärnten als auch in der Bundespolitik stand Schleinzer für Verjüngung, Reform und Modernisierung der Volkspartei sowie für eine Versachlichung des politischen Stils. Er und der neue Finanzminister Josef Klaus standen als Signal für Erneuerung. Das österreichische Bundesheer war nach einer ersten Aufbauphase wahrlich noch nicht in einem zufriedenstellenden Zustand. Schleinzer stellte die Frage, mit welchen Bedrohungsfällen das neutrale Österreich zu rechnen habe und wie es diesen entgegentreten könne. Schleinzer arbeitete an einem Umfassenden Landesverteidigungs-Konzept, das den wirtschaftlichen, zivilen, militärischen und geistigen Bereich umfassen sollte.[6]

Anfang 1964 wurde er unter dem neuen Bundeskanzler Josef Klaus Landwirtschaftsminister und kehrte damit in sein eigentliches Fachgebiet zurück.

Der zunehmenden Überproduktion und den steigenden Absatzschwierigkeiten suchte Schleinzer mit der Verbesserung der Agrarstruktur, marktgerechterer Erzeugung, einkommensausgleichenden Lösungen sowie der Intensivierung der Beziehungen zum EWG-Raum zu begegnen.[7] Schleinzer war vor allem bestrebt, Verständnis bei der EWG-Kommission für die österreichischen Exportwünsche zu finden und erreichte damit eine Reihe von Zugeständnissen und Erleichterungen um den österreichischen Agrarexport auszubauen. Nicht nur wegen seiner Funktion als Landwirtschaftsminister, sondern vor allem wegen seiner großen Sachkompetenz übte er die Führungsposition in der österreichischen Agrarpolitik aus.[8]

Nach der Niederlage bei der Nationalratswahl 1970 und durch das Zusammenspiel von SPÖ und FPÖ musste die ÖVP erstmals seit 1945 in die Opposition. Am 13. außerordentlichen ÖVP-Bundesparteitag am 22. Mai 1970 wurde Hermann Withalm in Nachfolge von Josef Klaus zum Bundesparteiobmann und Karl Schleinzer zum neuen ÖVP-Generalsekretär gewählt. Die ungewohnte Oppositionsrolle machte eine organisatorische und programmatische Neupositionierung der ÖVP notwendig. Diesen Herausforderungen widmete sich vor allem der neue Generalsekretär Schleinzer. Er gründete zehn Arbeitsausschüsse, die den einzelnen Ministerien entsprachen und deren Vorsitzende gemeinsam mit dem Bundesparteiobmann das Schattenkabinett der ÖVP bildeten. Gleichzeitig trieb Schleinzer eine umfassende Reform des Generalsekretariats voran. Karl Pisa wurde die Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms übertragen. Als Hermann Withalm im Jänner 1971 seinen Rücktritt ankündigte, gaben Generalsekretär Karl Schleinzer und Klubobmann Stefan Koren ihre Kandidatur für die Funktion des Bundesparteiobmanns bekannt. Alle Versuche, eine Kampfabstimmung zu verhindern, schlugen fehl. So wurde am 4. Juni 1971 beim 14. Außerordentlichen Parteitag Karl Schleinzer mit 286 von 423 gültigen Stimmen bzw. 67 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen ÖVP-Bundesparteiobmann gewählt. Herbert Kohlmaier wurde mit 74 Prozent zum neuen Generalsekretär bestellt.

Freund und politischer Mitstreiter.
Ministerpräsident Helmut Kohl und BPO Karl Schleinzer, 1972, Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts

In der ersten Sitzung der ÖVP-Bundesparteileitung am 15. Juni 1971 berichtete der neue Parteiobmann über verschiedene Gespräche, die er in den letzten Tagen geführt hatte. In einem Gespräch mit Bruno Kreisky in dessen Wohnung erklärte der Bundeskanzler, voll zu den in der Vergangenheit mit der ÖVP getroffenen Vereinbarungen zu stehen, er könne sich aber „in naher Zukunft eine große Koalition nicht vorstellen.“

Beim Antrittsbesuch bei Bundespräsident Franz Jonas habe dieser versucht, seine Haltung bei der Regierungsbildung 1970 zu rechtfertigen.

In einem Gespräch mit dem FPÖ-Abgeordneten Friedrich Peter habe dieser festgestellt, „dass die Lage so unübersichtlich sei, dass man derzeit nichts konkretes [sic] sagen könne. Man wisse auch nicht, wie man mit Kreisky dran sei. Er hoffe, dass die Volkspartei dem Budget 1972 zustimmen werde. Eine Auflösung des Parlaments könne er sich vor dem Sommer nicht vorstellen.“[9]

Die Nationalratswahl vom 10. Oktober 1971 zerstörte alle Hoffnungen des neuen Parteiobmanns Schleinzer auf eine Rückkehr in die Regierung. Unter Bundeskanzler Bruno Kreisky erreichte die SPÖ erstmals die absolute Mehrheit der Mandate.

Nun wurde ÖVP-intern das Jahr 1972 zum „Jahr der Parteiarbeit“ erklärt. Die ÖVP erlebte 1971/72 unter Parteiobmann Schleinzer ihre stärkste „Reideologisierungsphase“, die mit der Beschlussfassung über das „Salzburger Programm“ beim Bundesparteitag am 30. November 1972 abgeschlossen wurde. Parallel dazu erhöhte Schleinzer auch die Zahl der Arbeitsausschüsse auf 15. Darüber hinaus legte Schleinzer eine Reform der Parteistatuten vor, das die Frauenbewegung und die Jugendbewegung/ Junge ÖVP zu gleichberechtigten Teilorganisationen neben den drei Bünden (Wirtschaftsbund, Bauernbund, ÖAAB) machte.[10]

Bereits am ÖVP-Bundesparteirat im Herbst 1973 konnte Schleinzer die erfolgreiche Umsetzung des neuen Programms und der neunen Statuten feststellen, Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts

Allerdings fasste die ÖVP nur mühsam Tritt, die demoskopischen Erhebungen zeigten einen sich ständig vergrößernden Abstand zur SPÖ. Kritik am Führungsduo Schleinzer/Kohlmaier kam vor allem aus der Steirischen ÖVP und dem Wirtschaftsbund. Dennoch wurden Schleinzer und Kohlmaier auf dem 16. Bundesparteitag vom 28. Februar 1974 mit großer Mehrheit in ihren Funktionen bestätigt.[11] Auf dem Jubiläumsparteitag („30 Jahre ÖVP“) am 17. April 1975 präsentierte Spitzenkandidat Schleinzer sein Wahlkampfteam der „Jungen Löwen“ mit Alois Mock, Erhard Busek, Sixtus Lanner, Bertram Jäger, Josef Taus, Josef Krainer jun. und anderen.[12]

In einer großen Rede zum Abschluss der Legislaturperiode am 2. Juli 1975 im Parlament legte Karl Schleinzer ein klares Bekenntnis zur Zusammenarbeit aller Kräfte in der Form einer Konzentrationsregierung ab und fand damit weit über die Reihen seiner Partei hinaus Zustimmung in der Bevölkerung.[13] Schleinzer gab das Versprechen ab, sollte die ÖVP stärkste Partei werden, würde sie an SPÖ und FPÖ die Einladung zur Bildung einer gemeinsamen Regierung und zur Verwirklichung eines gemeinsamen Regierungsprogramms richten. „Nicht Parteienhader, sondern partnerschaftliche Zusammenarbeit müsste die Parole dieser Regierung sein.“ Natürlich ginge es bei der Nationalratswahl am 5. Oktober 1975 auch um die Stärke der Parteien im Nationalrat. „Es geht aber auch um die Frage, wie stark der Wille zur Zusammenarbeit bei jeder dieser drei Parteien ist. Ob sie glauben, dass die Schwierigkeiten im Gegeneinander oder im Miteinander der politischen Kräfte bewältigt werden sollen, und ob sie glauben, dass die Zeichen der Zeit in unserem Lande nach mehr Konflikt oder nach mehr Konsens verlangen.“ Für die ÖVP legte Schleinzer „ein klares Bekenntnis zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf breitestmöglicher Grundlage ab.“[14] Es war dies Schleinzers letzte öffentliche Rede, 17 Tage vor seinem Tod.

Mitten im bereits begonnenen Wahlkampf zur Nationalratswahl Anfang Oktober 1975 verunglückte Karl Schleinzer bei einem Autounfall am 19. Juli tödlich. Schleinzer war von seinem Urlaub auf Rhodos zurückgekehrt, rief von Wien aus seine Frau in St. Oswald an, um sein Kommen anzukündigen und fuhr anschließend selbst mit seinem Privatwagen in Richtung Kärnten nach Hause. Bei dieser Fahrt geriet er um 14.29 Uhr auf der damals berüchtigten Gastarbeiterroute bei der Umfahrung Bruck an der Mur auf die linke Fahrbahnseite und stieß frontal mit einem türkischen Sattelzug zusammen. Er war auf der Stelle tot. Karl Schleinzer ist auf dem Friedhof von St. Oswald in Kärnten begraben. Sein Nachfolger als ÖVP-Bundesparteiobmann wurde Josef Taus.

Trauersitzung der Bundesparteileitung nach dem Tod von Karl Schleinzer im Palais Todesco am 20. Juli 1975 mit allen Landeshauptleuten, Bünde-Obmännern und Landesparteivorsitzenden unter dem Vorsitz von Rudolf Sallinger und Herbert Kohlmaier, Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts

Nach den Niederlagen der Volkspartei in den Nationalratswahlen 1970 und 1971 hat Karl Schleinzer die Volkspartei durch ihre schwerste historische Periode geführt. Die Hoffnung des politischen Gegners, dass die Volkspartei in Gruppen und Flügel zerfallen würde, hat sich nicht nur nicht erfüllt, sondern im Gegenteil dazu geführt, dass die Volkspartei einiger denn je in den Wahlkampf für die Nationalratswahlen 1975 eingetreten ist. Wir verdanken das Karl Schleinzer.“ So fasste sein Nachfolger als Bundesparteiobmann, Josef Taus, die Verdienste Schleinzers zusammen.[15]

Univ. Prof. Dr. Franz Schausberger, Präsident des Karl-von-Vogelsang-Instituts, ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg.


[1] Michael Wladika, Doris Sottopietra, Helmut Wohnout: Zur Repräsentanz von Politikern und Mandataren mit NS-Vergangenheit in der Österreichischen Volkspartei 1945–1980: Eine gruppenbiographische Untersuchung. Forschungsprojekt im Auftrag des Karl von Vogelsang-Instituts. Wien 2018, S. 170-74. Ob es angesichts des am 8. November 1942 gestellten Antrages auf Mitgliedschaft in der NSDAP und der am 3. März 1943

erfolgten Einberufung zur Wehrmacht überhaupt zur Aushändigung des Mitgliedsbuches

gekommen ist, womit erst die NSDAP-Mitgliedschaft rechtsgültig wurde, ist nicht feststellbar. Schleinzer wird daher jener Personengruppe der „Zweifelsfälle“ zugeordnet, bei denen nicht festgestellt werden kann, ob

sie nach dem Kriterienkatalog tatsächlich NSDAP-Mitglied geworden sind.

[2] Gottfried Heindl: Karl Schleinzer. In: Herbert Bacher, Peter Bochskanl, Heinz Gerlitz, Gottfried Heindl, Ferdinand Manndorff, Karl Pisa. Karl Schleinzer. Der Mann und das Werk, Schriften des Karl

von Vogelsang-Instituts. Band 1. Wien, Köln, Graz 1983. S. 11 – S. 20.

[3] Franz Schausberger: Die Eliten der ÖVP seit 1945. In: Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger

(Hg.), Volkspartei – Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Wien, Köln, Weimar

1995. Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 2. Wien, Köln, Weimar 1995. S. 204.

[4] Karl Anderwald: SPÖ-Bonapartismus im Süden. Landtagswahlkämpfe in Kärnten 1945 – 1970. In: Herbert Dachs (Hg.): Zwischen Wettbewerb und Konsens. Landtagswahlkämpfe in Österreichs Bundesländern 1945 – 1970. Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 28. Wien, Köln, Weimar 2006. S. 90 – S. 96. Zu Schleinzers Zeit als Kärntner Landespolitiker siehe: Herbert Bacher: Der Kärntner Landespolitiker. In: Herbert Bacher u. a.: Karl Schleinzer. Der Mann und sein Werk. S.  35 – S. 45.

[5] Manfried Rauchensteiner: Die Verteidigungsminister der Zweiten Republik – Serie. Karl Schleinzer. In: Österreichische Militärische Zeitschrift. Heft 2. 2020. S. 162–171.

[6] Ferdinand Manndorff: Der Landesverteidigungsminister. In: Herbert Bacher, Peter Bochskanl, Heinz Gerlitz, Gottfried Heindl, Ferdinand Manndorff, Karl Pisa. Karl Schleinzer. Der Mann und das Werk, Schriften des Karl

von Vogelsang-Institutes. Band 1. Wien, Köln, Graz 1983. S. 46 ff.

[7] Ingrid Böhler: “Schleinzer, Karl” in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 58-59 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118759329.html#ndbcontent

[8] Heinz Gerlitz: Der Landwirtschaftsminister. In: Herbert Bacher u. a.: Karl Schleinzer. Der Mann und sein Werk. S.  76 f.

[9] Protokoll über die Sitzung der Bundesparteileitung am 15. Juni 1971. Archiv des Karl-von-Vogelsang-Instituts.

[10] Karl Pisa: Generalsekretär und Bundesparteiobmann. In: Herbert Bacher u. a.: Karl Schleinzer. Der Mann und sein Werk. S. 86 ff.

[11] Karl Pisa: Generalsekretär und Bundesparteiobmann. S. 90.

[12] Robert Kriechbaumer: Die Geschichte der ÖVP. In: Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Hg.): Volkspartei – Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 2. Wien, Köln, Weimar 1995. S. 54 – S. 58.

[13] Für Österreich. Das Vermächtnis von Karl Schleinzer. Redaktion: Gottfried Heindl, Hans Magenschab. Wien 1975. S. 27.

[14] Für Österreich. S. 71 und S. 73.

[15] Für Österreich. S. 6.