Carl Vaugoin (1873-1949)

Carl Vaugoin wurde am 8. Juli 1873 in Wien geboren. Sein Vater war der Inhaber eines heute noch bestehenden Juweliergeschäftes im siebenten Wiener Gemeindebezirk und außerdem engagiert als liberaler Kommunalpolitiker der Stadt Wien. Die Schreibweise seines Vornamens ist nicht einheitlich, es kommen sowohl Carl als auch Karl vor, dominierend ist jedoch die Variante mit „C“.
Carl besuchte zunächst das Gymnasium in Kremsmünster, ehe er 1890 ins Gymnasium Amerlinggasse in Wien wechselte, wo er 1892 maturierte. Er absolvierte das Einjährigen-Freiwilligenjahr in der k.u.k. Armee und wollte die Laufbahn eines Berufsoffiziers einschlagen. Er wurde jedoch für den Truppendienst als untauglich eingestuft, trat in die Reserve über und entschied sich für eine Beamtenkarriere in der niederösterreichischen Landesregierung, wo er im Rechnungsdienst eingesetzt wurde. Stark durch die Persönlichkeit Karl Luegers beeinflusst, trat Vaugoin 1898 der Christlichsozialen Partei bei und wurde bald Bezirksparteiobmann-Stellvertreter in Wien-Hietzing. Bereits 1912 wurde er schließlich in den Wiener Gemeinderat gewählt.
Während des Ersten Weltkriegs wurde Vaugoin als Offizier reaktiviert; er leitete 1915/16 die Einjährigen-Freiwilligenschule in Wien, ab April 1916 kommandierte er Etappen-Trainwerkstätten und schied nach dem Ende des Krieges im Rang eines Rittmeisters aus dem Militärdienst aus.

Vom Wiener Gemeinderat wurde er als Stadtrat nominiert und leitete die Personalangelegenheiten der Stadt. Bei den Gemeinderatswahlen vom 4. Mai 1919 wurde Vaugoin erneut in den Gemeinderat gewählt und hielt die Position bis zum 13. November 1923. Carl Vaugoin kandidierte auch bei den ersten Wahlen zum österreichischen Nationalrat am 17. Oktober 1920. Er wurde gewählt und gehörte dem Nationalrat als Abgeordneter bis zum 20. September 1933 mit der kurzen Unterbrechung von etwas mehr als zwei Monaten an, als er die Funktion des Bundeskanzlers innehatte und sein Nationalratsmandat ruhen ließ.

Da Vaugoin einer der wenigen Mandatare der Christlichsozialen Partei war, der militärische Kompetenz hatte, wurde er am 28. April 1921 mit dem Amt des Bundesministers für Heerwesen betraut und übte dieses bis zum 7. April desselben Jahres aus. Als der Parteiobmann der Christlichsozialen, Prälat Ignaz Seipel, am 31. Mai 1922 die Leitung der Österreichischen Bundesregierung übernahm, berief er Vaugoin erneut in die Funktion des Ministers für Heerwesens, welches er über alle Regierungswechsel und Koalitionsvarianten der Ersten Republik bis zum 21. September 1933 innehatte. Die Hauptaufgabe Vaugoins war die Schaffung eines Berufsheeres im Sinne des Vertrags von Saint Germain mit geringen finanziellen Spielräumen, vorgegeben durch die ungünstige wirtschaftliche Lage des Staates. Außerdem musste er versuchen, den Einfluss der sozialdemokratischen Partei zurückzudrängen, was er tatsächlich unter dem Schlagwort „Entpolitisierung“ Schritt für Schritt durchführte. Die dadurch gleichzeitig erfolgte Stärkung des christlichsozialen Einflusses auf die Gestaltung des Heeres lag durchaus im Sinne der rasch wechselnden Regierungen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Vom 26. September 1929 bis zum 30. September 1930 fungierte Vaugoin in der Regierung Johannes Schober III als Vizekanzler. Die Spannungen zwischen den Parteien verschärften sich, die Heimwehren einerseits und der sozialdemokratische Schutzbund gerieten immer öfter gewalttätig aneinander. Der Großdeutsche Bundeskanzler Johannes Schober trat zurück und Carl Vaugoin bildete ein Minderheitskabinett, in dem auch Vertreter der Heimwehren eingebunden waren. Bundespräsident Wilhelm Miklas löste den Nationalrat auf und schrieb Neuwahlen für den 9. November 1930 aus, welche die letzten freien Wahlen der Ersten Republik werden sollten. Die Christlichsozialen verloren sieben Mandate, die Sozialdemokraten wurden stärkste Partei im Nationalrat. Eine Koalition zwischen den Großdeutschen, den Christlichsozialen und dem Landbund war die Folge, allerdings unter dem Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender. Carl Vaugoin war in dieser Regierung neuerlich als Heeresminister vertreten.

Der führende Kopf der Christlichsozialen Ignaz Seipel war durch die scharfe Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten und durch Krankheiten sowie den Folgen des Attentats ebenso geschwächt, wie auch seine Stellung als Geistlicher und Politiker immer wieder Anlass zu Klagen gab; so konnte und wollte er seine Funktion als Parteiobmann nicht mehr voll ausfüllen. Vaugoin wurde von allen Flügeln der CS-Partei geschätzt, und so erfolgte am 9. Mai 1930 seine Wahl zum Parteiobmann der Christlichsozialen Partei. Am 1. November 1933 ließ er sich als Parteiobmann beurlauben und schied am 26. Jänner 1934 endgültig aus dieser Funktion aus. Aus seinen Erfahrungen mit den Heimwehren zog Vaugoin den Schluss, dass mit diesen keine Regierungspolitik gemacht werden konnte. Den autoritären Kurs des neuen Bundeskanzlers Dollfuß (ab 20. Mai 1932) trug Vaugoin kurzzeitig mit, da er diesen als einzigen Weg gegen eine Machtübernahme der Sozialdemokraten und deren geforderte „Diktatur des Proletariats“ sah. Allerdings wandte er sich bald gegen die Pläne in Richtung einer Verfassungsänderung und die Zurückdrängung der Parteien, wovon auch die Christlichsoziale Partei betroffen war. Im Herbst 1933 spitzte sich der Konflikt zu, und Engelbert Dollfuß entließ Vaugoin am 21. September 1933 als Heeresminister. Als „Trostpflaster“ wurde er tags darauf in den Rang eines Generals der Infanterie befördert.

Gleichzeitig mit dem Ausscheiden aus der Regierung legte Vaugoin sein Nationalratsmandat zurück und stellte am 1. November 1933 seine Funktion als Obmann der Christlichsozialen Partei ruhend, um diese Funktion endgültig am 26. Jänner 1934 an Emmerich Czermak zu übergeben. Weitere öffentliche Positionen übernahm Carl Vaugoin bei den Österreichischen Bundesbahnen und später in der Lebensversicherungsgesellschaft Phönix, ebenso in der Hirtenberger Patronenfabrik und der Sprengstofffabrik Blumau. Mit Inkrafttreten der neuen Verfassung wurde Carl Vaugoin am 1. November 1934 in den Staatsrat bestellt und am 27. November 1934 zum Mitglied des neu geschaffenen Bundesrates gewählt. Nach Bekanntwerden des „Phönix-Skandals“ trat Vaugoin sofort von allen Funktionen zurück und kehrte in keine dieser Funktionen wieder zurück, obwohl ihm auch gerichtlich die Unschuld an den Geschehnissen bestätigt wurde.

Beim Einmarsch der Truppen des nationalsozialistischen Deutschlands in Österreich befand sich Vaugoin auf Kur in Meran. Er trat sofort die Rückkehr nach Wien an, wurde noch auf der Rückreise verhaftet und ins Polizeigefangenenhaus Rossauerlände eingeliefert. Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit sah man von weiteren Inhaftierungen ab, allerdings musste Vaugoin seinen Wohnsitz außerhalb des früheren Österreichs nehmen, zuerst in Bayern, dann in Thüringen. Erst Ende 1943 durfte er wieder zurück nach Österreich, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Am 10. Juni 1949 verstarb er als Gelähmter in einem Pflegeheim in Krems. Er fand seine letzte Ruhestätte in einem Grab am Hietzinger Friedhof.
Vaugoin war zweimal verheiratet. Aus erster Ehe stammen zwei Kinder, in zweiter Ehe war er mit der Witwe des Glasindustriellen Stölzle verheiratet, welche im Jahre 1970 in Bad Vöslau verstarb. Im historischen Gedächtnis Österreichs ist Carl Vaugoin weitgehend vergessen, die Auswirkungen seines langjährigen politischen Handelns sind jedoch größer als allgemein angenommen.

Prof. Dr. Michael Dippelreiter
Langjähriger Vizepräsident und Vorsitzender des Senats der Österreichischen Kulturvereinigung sowie
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Karl von Vogelsang-Instituts