Gedenkmesse und Grabsegnung für Bundeskanzler a. D. Prälat Dr. Ignaz Seipel (1876-1932) am Wiener Zentralfriedhof (Dr. Karl-Lueger-Gedächtniskirche)

Das Karl von Vogelsang-Institut lud am Allerseelentag, 2. November 2022 zu einem Gedenkgottesdienst für den früheren christlichsozialen Bundeskanzler Prälat Dr. Ignaz Seipel, dessen Todestag sich heuer zum 90. Mal jährte. Der Gottesdienst fand in der Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche am Wiener Zentralfriedhof einen würdigen Rahmen, zumal sich das Ehrengrab Ignaz Seipels in unmittelbarer Nähe befindet. Das Spannungsverhältnis, in dem Seipel als Priester und als Politiker stand, fand sowohl in der Predigt, als auch in einer historischen Würdigung Berücksichtigung. Der stimmungsvolle Gottesdienst wurde von HH Mag. Anton Höslinger, Chorherr und Kämmerer des Augustinerchorherrenstiftes Klosterneuburg, zelebriert und ging auch in den Gebeten und Fürbitten auf die menschlichen Herausforderungen im Leben Seipels ein.

Im Jahre 1899 wurde er zum Priester geweiht und konnte sich 1908 für das Fach Moraltheologie habilitieren. Nur ein Jahr später wurde er als Ordinarius an die Universität Salzburg berufen. Während des Ersten Weltkriegs erschien 1916 seine Studie „Nation und Staat“. Mit den darin formulierten Lösungsvorschlägen zum Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie zog Seipel erstmals die Aufmerksamkeit breiterer politischer Kreise auf sich. 1917 übernahm er in der Nachfolge Franz Martin Schindlers, des Verfassers des ersten christlichsozialen Parteiprogrammes 1891, dessen Lehrstuhl an der Universität Wien und wurde rasch zu einem Hoffnungsträger innerhalb der Christlichsozialen Partei.

Als Heinrich Lammasch am 22. Oktober 1918 zum letzten k.k. Ministerpräsidenten ernannt wurde, trat Seipel als Sozialminister in die Regierung ein. Er war maßgeblich an der Formulierung der schließlich von Kaiser Karl akzeptierten Verzichtserklärung beteiligt und trug wesentlichen Anteil daran, dass weite Teile der christlichsozialen Gefolgschaft den Übergang zur Republik akzeptierten. Mit seiner Wahl in die Konstituierende Nationalversammlung begann 1919 seine Tätigkeit als Parlamentarier, die er bis zu seinem frühen Tod 1932 ausüben sollte. 1920 war er als christlichsozialer Verhandlungsführer an der Erarbeitung der Bundes-Verfassung beteiligt. Die Polarisierung während der 1920er Jahre und das verschärfte innenpolitische Klima wurden durch Ignaz Seipel mitgeprägt, so wie diese Spannungen auch Seipel als Mensch und als Politiker prägten.

Im Jahr 1921 übernahm er den Parteivorsitz der Christlichsozialen und trat 1922 an die Spitze der Regierungskoalition mit den Großdeutschen. Noch im selben Jahr erreichte Seipel beim Völkerbund eine Anleihe in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen, mit der der drohende wirtschaftliche Zusammenbruch Österreichs abgewendet werden konnte. In weiterer Folge gelang es Seipel, die Hyperinflation zu stoppen, den Staatshaushalt zu stabilisieren und die Einführung einer neuen Währung, des Schillings, vorzubereiten. Seine teils harten Sanierungsschritte machten Seipel zum Feindbild nicht nur der Opposition, sondern auch derjenigen Bevölkerungsschichten, die an den Auswirkungen der Maßnahmen am schwersten zu tragen hatten. Im Juni 1924 wurde auf ihn ein Revolverattentat verübt, bei dem Seipel schwer verletzt überlebte. Er trat im November 1924 als Bundeskanzler zurück.

Im Oktober 1926 übernahm er nach dem Scheitern der Regierung Rudolf Ramek (CS) neuerlich die Kanzlerschaft. Seine zweite Regierungsperiode war geprägt von den immer härter werdenden Auseinandersetzungen zu Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche. Insbesondere auf Grund seines Verhaltens nach dem Brand des Justizpalastes vom 15. Juli 1927, bei dem für ihn allein die Staatsräson maßgeblich war, verbanden die Sozialdemokraten ihre kirchenfeindliche Agitation unmittelbar mit seiner Person. Dies führte bei Seipel zu einem zunehmenden Verständnis für autoritäre Regierungsmodelle und der Heimwehr. 1929 trat er überraschend zum zweiten Mal als Bundeskanzler zurück. Für kurze Zeit gehörte er 1930 der Minderheitsregierung Carl Vaugoin (CS) als Außenminister an. Im Jahr 1931 wurde er nochmals mit der Regierungsbildung beauftragt. Sein Versuch, eine Konzentrationsregierung zu bilden, scheiterte jedoch an der Sozialdemokratie, die ein Koalitionsangebot ablehnte. Zu Beginn der 1930er Jahre begann sich der Gesundheitszustand Seipels rasch zu verschlechtern. Er war zuckerkrank, eine Kugel des Attentats war in seinem Lungenflügel verblieben, eine Tuberkuloseerkrankung kam dazu. Er verschied, erst im 57. Lebensjahr stehend, Anfang August 1932. Mit ihm starb der bedeutendste, wenngleich auch umstrittenste Priesterpolitiker der Ersten Republik.

Der Präsident des Karl von Vogelsang-Instituts, LH a.D. Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger und Geschäftsführer Dr. Hannes Schönner spannten in der Würdigung un in den Fürbitten einen biographisch-politischen Bogen, der Seipels Bedeutung für die österreichische Geschichte unterstrich und hervorhob. Im Anschluss an den Gedenkgottesdienst wurde das Ehrengrab Ignaz Seipels, dessen Grabstein seitens des Karl von Vogelsang-Instituts in den vergangenen Monaten renoviert worden war, von Anton Höslinger gesegnet. Der Präsident des Nationalrates, Mag. Wolfgang Sobotka legte ebenso am Ehrengrab namens des österreichischen Parlaments einen Kranz nieder. Die Teilnahme des Vorortes des Österreichischen Cartellverbandes (ÖCV) und zahlreicher Farbstudenten machten den engen historischen Kontakt von Ignaz Seipel zum Vereinskatholizismus deutlich.