Andrea Ertl: Olga Rudel-Zeynek. Die erste Frau an der Spitze des Bundesrates.

In: Olga Rudel-Zeynek. Pionierin im Parlament

(Hrsg. Parlamentsdirektion) Wien 2003.

Olga Rudel-Zeynek.

Die bedeutende christlich-soziale Pionierin im Parlament

Als der Vater, dem 1881 der Ritterstand verliehen wurde, 1892 zur Dienstleistung ins Ministerium für Kultus und Unterricht nach Wien berufen wurde, übersiedelte die Familie nach Wien, wo Olga von Zeynek 1897 den Offizier Rudolf Rudel heiratete. Die folgenden Jahre als Offiziersgattin verbrachte sie in verschiedenen Garnisonen (Neu-Sandec, Trient, Wien, Lemberg, Wien, Ödenburg, Lemberg, Tarnopol) der österreichisch-ungarischen Monarchie. Im Juli 1914 besuchte sie in Graz Verwandte. Bedingt durch den Kriegsausbruch wenig später, hatte sie fortan ihren Wohnort in Graz. Ihr Ehemann, der nach mehrmaligen Verwundungen im Krieg nicht mehr für den ‚Dienst im Feld‘ tauglich war und ab September 1915 das Amt des Vizepräsidenten des k.k. Obersten Landwehrgerichtshofes innehatte, lebte hingegen in Wien, wo auch die Ehe der beiden im Mai 1918 geschieden wurde. Von den politischen Anfängen in Graz begann sie sich während des Krieges in der Katholischen Frauenorganisation und in karitativen Vereinen zu betätigen. Sie half ehrenamtlich in einer Kriegsküche und beim Verkauf billiger Lebensmittel für die minderbemittelte Bevölkerung. Sie arbeitete in Kinderhorten, schrieb Märchen und Erzählungen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften und erreichte dadurch bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad. Bereits im Oktober 1917 kündigte das Grazer Volksblatt sie als „die hiesige Schriftstellerin“, „die sich durch ihre teils ernsten, teils humoristisch-satirischen Kriegsmärchen bereits einen Ruf erworben hat“, an. Sie hielt Vorträge über soziale Themen, sprach in Versammlungen über die Sittlichkeitsfrage und betonte die Bedeutung der Frau bei der Unsittlichkeitsbekämpfung. Sie entfaltete „schließlich eine Propaganda für die großen Fragen der Lebensreform“. Durch diese Tätigkeit wurde sie „allmählich und unversehens in die Politik hineingezogen“.

Eines Tages stellte sie dann fest, dass sie „bereits Politikerin war“. Nach der Ausrufung der Republik und der Zuerkennung des aktiven und passiven Frauenwahlrechtes engagierte sie sich im Wahlkampf für die Konstituierende Nationalversammlung – sie sprach in zahlreichen Versammlungen, in denen sie das christlich-soziale Programm und die Forderungen der Frauen behandelte. Sie referierte auch in Frauenversammlungen über die Stellung der Frau zur Politik in Vergangenheit und Gegenwart und betonte, dass sich die Frauen mit Politik befassen müssen, „um in Hinkunft vom Staatsleben nicht ausgeschaltet zu werden“. Sie hob die Notwendigkeit für die christlichen Frau, „sich im politischen Leben zu betätigen und durch ihr Stimmrecht der christlichen Sache zum Siege zu verhelfen“ hervor und unterstrich: „Auch wir Frauen wollen einen uns entsprechenden Platz im neuen Staate haben, und wir werden wissen, ihn auszufüllen“.

Während dieser Versammlungen wurden die Redner aber nicht immer nur freundlich behandelt und umjubelt, sondern es kam auch zu Störungen und Beschimpfungen. Beleidigungen wie „Verdammtes Weibsvolk, bleibt bei euren Kochlöffel!“, waren ebenso zu hören wie die Meinung „Lieber einen Chinesen als eine weibliche Abgeordnete!“ Auch Tumulte und Gewalttätigkeiten kamen vor. Das Grazer Volksblatt berichtete über eine Versammlung, in der Rudel-Zeynek das Referat hielt: „… Obwohl die Versammlung nur für Frauen zugänglich war, drängten sich eine Menge Männer, darunter auch Soldaten, hinein und gaben in rücksichtsloser Form ihrer anti-christlichsozialen Gesinnung Ausdruck. Einige radaulustige Männer gingen mit Fäusten auf die Rednerin los. Da die Störung immer lauter wurde, rief sie energischen Widerspruch von Seiten der Frauen hervor und schließlich konnte in dem allgemeinen Lärm die Rednerin nicht mehr weitersprechen. Auf Aufforderung der Vorsitzenden verließen sämtliche Frauen das Lokal und begaben sich in einem lange Zuge auf den Kirchplatz, um die Versammlung fortzusetzen …“ Olga Rudel-Zeynek wurde bei der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 von der christlichsozialen Partei in der Steiermark, im Wahlkreis Graz und Umgebung als Kandidatin zwar an dritter Stelle aufgestellt, verfehlte am Ende aber dennoch knapp den Einzug in die Nationalversammlung. Auch beim folgenden Wahlkampf für den steiermärkischen Landtag trat sie in zahlreichen Versammlungen als Rednerin auf. Bei der Landtagswahl im Mai 1919, bei der sie ebenfalls im Wahlkreis Graz und Umgebung am dritten Listenplatz kandidierte, erhielt sie ebenso wie zwei weitere Frauen, ihre Parteikollegin Marianne Kaufmann und die Sozialdemokratin Martha Tausk, ein Mandat. Am 27. Mai 1919 wurde der Landtag, dessen Legislaturperiode bis 23. September 1920 dauerte, eröffnet, und Rudel-Zeynek entfaltete darin eine rege Tätigkeit. Sie war Mitglied des volkswirtschaftlichen Ausschusses und erstattete im Plenum wiederholt den mündlichen Bericht.

Sie befasste sich im Landtag also vor allem mit sozialen Fragen, Frauenfragen, Wirtschaftsfragen, Schul- und Bildungsfragen. Zeitgleich mit der Nationalratswahl im Oktober 1920 fand auch die Wahl des steiermärkischen Landtages statt. Rudel-Zeynek, die wieder als Kandidatin für den Nationalrat im Wahlkreis Graz und Umgebung an dritter Stelle aufgestellt war, schaffte erneut den Einzug in den Nationalrat nicht. Sie erhielt stattdessen zunächst ein Reststimmenmandat im Landtag. Als dann der Abgeordnete Kaspar Hosch sein Mandat im Nationalrat zurücklegte, folgte sie ihm im Nationalrat nach und übte das Mandat bis zum Ende der Legislaturperiode am 20. November 1923 aus. Bei der nächsten Nationalratswahl im Oktober 1923 gelang es ihr schließlich erstmals direkt ein Mandat zu erhalten und sie gehörte dann bis zum Ende der Legislaturperiode am 18. Mai 1927 dem Nationalrat als Abgeordnete an.

Rudel-Zeynek nahm erstmals am 3. Dezember 1920 an einer Plenarsitzung des Nationalrates teil. An diese Sitzung erinnerte sie sich wie folgt: „Mit einer Aktentasche voller Interventionsangelegenheiten lauerte ich wie die Spinne im Netz auf jede Gelegenheit, einen Ressortminister für meine segens-reiche, in den Dienst meiner Wählerschaft gestellte Tätigkeit einzufangen. Erster Anlass war die erste Sitzung, der ich im Hohen Hause beiwohne [sic!]. Ich stürze mich mit edlem, heiligem Feuer auf den ersten Minister, der da ganz einladend mir vis-a-vis saß, und neben sich einen leeren Platz hatte, der mir ebenfalls einladend schien – um mich neben ihn zu setzen und meine Anliegen vorzutragen. Da plötzlich sehe ich in den Reihen der Sozialdemokraten Bewegung entstehen und einer von den Kollegen der linken Seite ruft mir lachend zu: ,Da haben wir ja eine Ministerin bekommen’, während zur selben Zeit Kunschak auf mich los kam und ganz unzweideutig sagte: ,Gehen Sie weg, Frau Kollegin, Sie sitzen ja auf der Ministerbank!’“

Die bedeutendsten Ergebnisse ihrer parlamentarischen Arbeit waren das Gesetz betreffend das Verbot der Abgabe alkoholischer Getränke an Jugendliche (1922), das Gesetz, das die Bestrafung all jener Personen vorsah, die in einer Schankstätte oder an einem Ort, wo geistige Getränke verkauft werden, einem Unmündigen ein alkoholisches Getränk zu trinken geben oder geben lassen, und das Gesetz zum Schutz des Unterhaltsanspruches (1925), und jenes, das die schuldhafte Vernachlässigung der Unterhaltspflicht unter Strafe stellte und dritte Personen zivilrechtlich für den Unterhaltsanspruch mithaftbar machte.

Sie befasste sich während ihrer Nationalratstätigkeit vor allem mit den Interessen einzelner Frauenberufsgruppen, Frauenarbeitslosigkeit und Frauenberufsausbildung, Mädchenbildung und Mädchenmittelschulen sowie mit Kinder- und Jugendschutz, Fürsorgemaßnahmen, Gefährdetenfürsorge, dem Thema der ‚sittlichen Verwahrlosung als auch gesundheits- und sozialpolitischen Forderungen. In der darauf folgenden Periode hatte keine bürgerliche Frau ein Nationalratsmandat. Bei der Nationalratswahl im April 1927 kandidierte sie selbst nicht mehr. Ob sie nun freiwillig auf die Kandidatur verzichtete oder ob sie nicht mehr aufgestellt wurde, darüber gibt es widersprüchliche Angaben. Die christlichsozialen Frauen, die ihr Ausscheiden aus dem Parlament bedauerten, beschlossen bereits am Landesparteitag im Mai 1927 eine Resolution, in der die Kandidatur von Rudel-Zeynek bei den nächsten Wahlen an einer sicheren Stelle gefordert wurde. Was aber bei den Wahlen im November 1930 keinesfalls geschah. Sie schien auf keiner Kandidatenliste auf. Stattdessen wählte am 21. Mai 1927 der steiermärkische Landtag Olga Rudel-Zeynek in den Bundesrat. Als dann ab 1. Dezember 1927 die Steiermark für sechs Monate den Vorsitz im Bundesrat innehatte, übernahm sie als die an erster Stelle von diesem Bundesland entsendete Vertreterin die Präsidentschaft. In- und ausländische Zeitungen wandten diesem Ereignis ihre Aufmerksamkeit zu. So meinte z.B. die Wiener Allgemeine Zeitung, dass die österreichische Demokratie durch die Präsidentschaft einer Frau „einen großen Erfolg zu verzeichnen“ hat, und führte weiter aus: „(…) In gewissem Sinne muss dies als historisches Ereignis gewertet werden, jedenfalls aber als bedeutender Erfolg einer demokratischen Verfassung. Obwohl Frau Rudel-Zeynek Mitglied der regierenden christlichsozialen Partei ist, darf man ihre Präsidentschaft nicht als Parteiangelegenheit auffassen.“

Die erste Sitzung des Bundesrates unter dem Vorsitz von Rudel-Zeynek fand am 20. Dezember 1927 statt und erhielt die entsprechende Aufmerksamkeit. Die Besucherplätze im Bundesratssaal waren mit Gästen voll besetzt und auf der Ministerbank hatten neben Bundeskanzler Dr. Seipel auch mehrere Mitglieder der Regierung Platz genommen. Als Rudel-Zeynek am Nachmittag die Sitzung eröffnete, zeigte sie, wie die Reichspost berichtete, „gleich vom ersten Satze an“, „eine Sicherheit und Gelassenheit in der Beherrschung des nicht unkomplizierten formalen Apparates, als ob sie ihr Amt schon jahrelang innehätte“. In ihrer Antrittsrede führte sie u.a. aus: „Ich will mein Amt – dessen seien Sie versichert – stets unparteiisch und nur nach sachlichen Gesichtspunkten führen. Dass ich heute auf diesem Platze stehen darf, danke ich der bei uns in Österreich in jeder Hinsicht durchgeführten Demokratie, und ich hoffe und bitte, dass Sie als echte Demokraten der Tätigkeit der ersten Frau, die an die Spitze einer parlamentarischen Körperschaft berufen worden ist, ihre kollegiale Unterstützung gewähren werden.“

Am Ende der Rede erntete sie von den Abgeordneten lebhaften Beifall, die damit, wie das Neue Wiener Tagblatt kommentierte, „wohl ihrer Genugtuung darüber Ausdruck geben wollten, dass in unsrer Republik auch einmal eine Frau zur Leiterin einer parlamentarischen Körperschaft berufen wurde“. Die Katholische Frauenorganisation (KFO) gab ihrer Freude darüber Ausdruck, dass eine aus ihren eigenen Reihen eine derartige Stellung errungen hatte. Die KFO Steiermark veranstaltete zu Ehren von Rudel-Zeynek eine Feier in Graz.

Nach sechs Monaten ging der Vorsitz im Bundesrat von der Steiermark auf das Bundes-land Tirol über. Nach der Abgabe der Präsidentschaft war Rudel-Zeynek bis zum Ende der Legislaturperiode des steiermärkischen Landtages am 6. Oktober 1930 wieder einfaches Mitglied des Bundesrates. Der steiermärkische Landtag wählte sie dann am 4. Dezember 1930 erneut in den Bundesrat, wo sie dann als Listenführerin von 1. Juni bis 30. November 1932 nochmals den Vorsitz übernahm. Die erste Sitzung des Plenums unter ihrer Leitung fand am 15. Juni 1932 statt, wobei aber nicht ihre Präsidentschaft, sondern vielmehr der Einzug der ersten Nationalsozialisten in den Bundesrat die mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie bei ihrer ersten Präsidentschaft musste sie als Vorsitzende wieder dafür sorgen, dass die dem Bundesrat obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen durchgeführt werden. Sie musste die Geschäftsordnung handhaben, auf deren Einhaltung achten, die Sitzungen eröffnen und schließen, den Vorsitz führen und die Verhandlungen leiten. In der Zeit ihrer ersten Präsidentschaft fanden fünf Sitzungen des Bundesrates statt, während der zweiten nur mehr vier, wobei da die Vorsitzführung schwieriger war, da es immer wieder zu heftigen Wortwechsel der nationalsozialistischen Abgeordneten mit den Abgeordneten der anderen Parteien kam. Rudel-Zeynek gehörte dem Bundesrat vom 21. Mai 1927 bis zu dessen Auflösung Ende April 1934 an. Sie war in zahlreichen karitativen Vereinen und Organisationen aktiv, wobei ihr wohl der „Verein der Witwen und Waisen nach öffentlichen Beamten in Graz“, der „Katholische Frauenverein der werktätigen christlichen Liebe“ und der Verein „Fest der Treue“, dessen Gründerin und Präsidentin sie war, am meisten am Herzen lagen.

Dem Ständestaat stand sie durchaus positiv gegenüber. Sie sah es als Aufgabe der Frauen an, „beim Aufbau des werdenden, auf christlich-ständischer Grundlage aufgebauten Österreich mitzutun“. Bereits Anfang der 1930er Jahre sprach Olga Rudel-Zeynek in Versammlungen über den Nationalsozialismus und die Gefahren, die er in sich birgt.

Ihre Parteikollegin Dr. Alma Motzko-Seitz erinnerte sich, dass sie „trotz der schwierigsten Verhältnisse als aufrechte, unbeugsame, katholische Österreicherin vielen Menschen Halt, Stütze und Trost“ war und dass die Verhältnisse nach 1938 sie in „eine ungemein schwierige Lebenslage“ brachten, aber dass sie dennoch „nicht den Mut und nicht den Glauben an die Auferstehung ihrer Heimat“ verlor. Sie selbst äußerte sich später über diese Zeit mit den Worten: „Wir mussten schweigen, durften kein Wort der Kritik, keine eigene Meinung äußern; so wurden wir hart und voll Bitterkeit.“ Sie verbrachte die Kriegsjahre in Graz, auch als die Stadt wiederholt von Bombenangriffen heimgesucht wurde. Sie erinnerte sich: „(…) um der furchtbaren Bombengefahr zu begegnen, wurde der Schloßberg kreuz und quer von Stollen durchwühlt, wo die armen geängstigten Menschen in hellen Scharen Schutz suchten“.

Nach dem Krieg schrieb sie wieder Artikel für Zeitungen, betätigte sich karitativ und befasste sich mit Politik. Anlässlich der Wahlen im November 1945 forderte sie vor allem die Frauen auf, zur Wahlurne zu gehen, das demokratische Recht wahrzunehmen, denn schließlich ging es bei diesen Wahlen „um‘s Ganze“.

Am 25. August 1948 verstarb Olga Rudel-Zeynek in Folge eines Schlaganfalls. Alma Motzko-Seitz schrieb nach ihrem Tod über sie: „(…) Eine der markantesten und liebenswürdigsten Erscheinungen der katholischen Frauenbewegung ist mit ihr dahingegangen. Wer immer das Glück hatte, ihr im Leben und in ihrer Arbeit nahe zu stehen, wird das Bild ihrer Persönlichkeit unverlierbar bewahren.“

Rudel-Zeynek wurde am 28. August 1948 unter starker Beteiligung der Bevölkerung und Würdigung von Seiten der ÖVP und der Österreichischen Frauenbewegung am St. Peter Stadtfriedhof in Graz im Familiengrab beigesetzt.

>>Nachruf auf Olga Rudel-Zeynek von Dr. Alma Motzko im „Kleinen Volksblatt“, 29. August 1948