Protokolle des Bundesausschusses des Niederösterreichischen Bauernbundes (1912–1933

Umfang: 1 Protokollbuch zu 240 Seiten (Digitalisate)

Zeitraum: 1912 bis 1933

Provenienz: NÖ Bauernbund

Abgebende Stelle: NÖ Bauernbund, Ferstlergasse 4, 3100 St. Pölten (Original befindet sich weiterhin vor Ort)

Kurzbeschreibung: Personalsachen, Verwaltung, Statuten, Vermögen, Mitgliederangelegenheiten, Bauernbündler, Presseförderung, Standespolitik, Wirtschaft, Christlichsoziale Partei

Verwaltungsgeschichte/biographische Angaben:

Der Niederösterreichische Bauernbund (NÖBB) war die wichtigste Standesvertretung der niederösterreichischen Bauernschaft und ein politischer Verein. Er prägte die Geschichte Niederösterreichs im 20. Jahrhundert wie keine andere politische Kraft im Land. Gegründet 1906 stieg der NÖBB bald nach dem Tod des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger 1910 zum politischen Machtzentrum in Niederösterreich auf. Parallel dazu errang die Bauernvertretung auch in der Christlichsozialen Partei bestimmenden Einfluss. Der Triumph der Sozialdemokratie in Niederösterreich nach den ersten voll demokratischen Wahlen 1919 war nur von kurzer Dauer. Die Trennung von Wien stellte die alten Machtverhältnisse wieder her; auf dem flachen Land war der NÖBB ohnehin unangefochten geblieben. Von 1920 bis zum „Anschluss“ 1938 stellte der NÖBB in Niederösterreich immer den Landeshauptmann.

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen unterstrich den Bedeutungszuwachs des NÖBB. Zählte er bei seiner Gründung 1906 noch etwa 36.000 Mitglieder, konnte er diesen Wert bis 1914 verdoppeln. Am Beginn der Ersten Republik, vor dem Hintergrund linker Räteregime in Bayern und Ungarn sowie im Eindruck von kommunistischen Putschversuchen in Wien, erreichte der NÖBB mit etwa 115.000 Mitgliedern seinen Höchststand.

Der Bundesausschuss, von dem die vorliegenden Protokolle stammen, war mit dem Bundesvorstand das maßgebliche Gremium im NÖBB. Seine Mitglieder waren auf allen politischen Ebenen vertreten und spielten im weit verzweigten landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen eine führende Rolle. An den Sitzungen 1912 nahmen neben Obmann Josef Stöckler zumeist ein Obmannstellvertreter, Kanzleidirektor Alois Kleebinder als Schriftführer sowie zwischen fünf und sieben Bundesausschüsse teil. Bei der vierten Sitzung am 26. April 1912 waren dies zum Beispiel: Karl Fisslthaler, der Stadtpfarrer von Pöchlarn Matthäus Bauchinger, Karl Jukel, Josef Zwetzbacher, Alois Lechner, Josef Eisenhut und Leopold Diwald. Bis auf Zwetzbacher saßen 1912 sämtliche Bundesausschüsse im Reichsrat, ausnahmslos alle waren Mandatare des NÖ Landtags und die meisten waren als Bürgermeister, Gemeinderäte und/oder Ortsschulräte auch in der Kommunalpolitik tätig.

Bestandsgeschichte: Das Protokollbuch wurde dem KvVI 2020 zur Digitalisierung überlassen, das Original danach wieder rückgestellt.

Eingrenzung und Inhalt:

Die Protokolle des Bundesausschusses des NÖBB erstrecken sich über einen Zeitraum von 21 Jahren. Sie reichen vom 8. Februar 1912 bis zur Übergabe der Kanzleidirektion von Josef Sturm an Leopold Figl im Dezember 1933. Weitere Protokolle sind nicht erhalten. Das Protokollbuch umfasst 240 Seiten. Die erste Hälfte des Buches ist nur rechtsseitig beschrieben, danach stets doppelseitig, wobei zunehmend Zeitungsausschnitte aus dem „Bauernbündler“ die handschriftlichen Einträge ergänzen und teils auch ersetzen.

Die Protokolle sind nicht ganz einfach zu lesen. Sie sind überwiegend in Kurrentschrift abgefasst und zwischen einer Seite und drei Seiten lang. Als Protokollant fungierte zumeist der Kanzleidirektor, später Bauernbunddirektor genannt. Es waren dies Alois Kleebinder (bis 1918), vor allem aber der Priester Josef Sturm (1918-1933); das letzte Protokoll stammt vom späteren Bundeskanzler Leopold Figl, der von 1933 bis 1938 als Bauernbunddirektor agiert hat.

Bei den Einträgen handelt es sich durchwegs um Beschlussprotokolle. Vermerkt sind Datum, Ort und Teilnehmer der Sitzung; Diskussionen und Wechselreden sind nicht wiedergegeben. Mitunter wird aber eigens vermerkt, dass es solche gegeben hat.

Der inhaltliche Schwerpunkt der Protokolle liegt auf internen Angelegenheiten des Bauernbundes. Es geht um Fragen des Personals (Anstellung, Entlohnung), um Statutenänderungen und Geschäftsordnungen, um die Entsendung von Vertretern in diverse Gremien, um Finanz- und Vermögensfragen des NÖBB und immer wieder um Angelegenheiten der Verbandspresse, also um die Zeitung „Der Bauernbündler“, um den „Bauernkalender“ sowie um die verbandseigene Druckerei. Aktivitäten der Mitgliederwerbung finden ebenso Erwähnung wie Fragen des Mitgliedsbeitrages und des Kassastandes. Mitunter sind auch Mitgliedszahlen vermerkt.

Fragen des politischen Kurses des NÖBB werden in den Protokollen zwar angesprochen, aber nur selten ausführlicher referiert. Diese Aufgabe erfüllt zumeist die Verbandszeitung „Der Bauernbündler“, aus der immer wieder Ausschnitte eingeklebt sind. Auf diese einander ergänzende Weise ist etwa auch der Beitritt des NÖBB zur Heimwehr im August 1929 dokumentiert. Dass die interne Debatte über die „Heimwehrfrage“ noch länger andauerte, erfährt man aber nur aus den Protokollen. Aufschlussreich sind ferner die bisweilen mit genauen Beträgen angegebenen finanziellen Unterstützungsleistungen für ideologisch nahestehende Presseorgane, etwa vor Wahlen. Vereinzelt geben die Protokolle auch über das Verhältnis des NÖBB zur Christlichsozialen Partei Auskunft. Detailliertere Einträge, wie etwa jener nach dem Pfrimer-Putsch 1931, als die „lendenlahme Stellung“ der Bundesparteileitung „gegenüber den Auswüchsen des Heimatblockes“ kritisiert wird, sind die Ausnahme.

Nach 1918, mit der Übernahme der Kanzleidirektion durch Josef Sturm, der politische Informationsgehalt der Protokolle vorübergehend etwas dichter. Ab 1932 erfolgt die Protokollierung immer kursorischer, die eingeklebten Ausschnitte aus dem „Bauernbündler“ nehmen zu.

Generell liegt der besondere Quellenwert der Protokolle nicht allein in deren Qualität als narrative Quellen, sondern vielfach auch in deren Verweischarakter auf Problemlagen und Themenbereiche, die mithilfe weiterer Unterlagen bearbeitet werden müssen.

Literatur:

Stefan Eminger, Wie die große Politik ins kleine Dorf kam. Politische Mobilisierung der Landbevölkerung durch Katholisch-Konservative und Christlichsoziale, in: Niederösterreich im 19. Jahrhundert. Band 1. Hg. Oliver Kühschelm, Elisabeth Loinig, Stefan Eminger, Willibald Rosner (erscheint 2021).

Gertrude Enderle-Burcel u. Georg Schmitz, Politische Eliten in Niederösterreich im 20. Jahrhundert, in: Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Band 1: Politik. Hg. Stefan Eminger u. Ernst Langthaler (Wien-Köln-Weimar 2008) 233-276.

Egon Fischer, Der Niederösterreichische Bauernbund von seiner Gründung 1906-1938 (Wien phil. Diss. 1979).

Stefan Eminger (NÖ Landesarchiv), am 19. Februar 2021.

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Dokument 8