Karl Freiherr von Vogelsang

Karl von Vogelsang wurde am 03. September 1818 in Liegnitz, im heutigen Polen geboren. Nach dem Gymnasium in Halle/Saale studierte er in Bonn, Rostock und Berlin Rechts- und Staatswissenschaften. Nach seinem Universitätsabschluss trat er in den preußischen Justizdienst ein. Der Protestant Karl von Vogelsang konvertierte u.a. aufgrund der Bekanntschaft mit dem Gründer der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Wilhelm Emmanuel Bischof von Ketteler zum Katholizismus.

Nach dem Tod seines Stiefvaters quittierte er den Staatsdienst und übernahm das Familiengut in Alt Guthendorf in Mecklenburg. Dort wurde er später in die mecklenburgische Ständevertretung gewählt. Als entschiedener Gegner von Reichskanzler Bismarck und nicht zuletzt aufgrund der Behinderung des katholischen Kultus in Mecklenburg zog er in die Habsburgermonarchie. Ab 1873 arbeitete er als Redakteur für das konservative Tagblatt „Der Katholik“. In den folgenden Jahren ab 1875 begann seine reiche publizistische Tätigkeit bei der katholisch-konservativen Zeitung „Vaterland“. Einige Jahre später gründete er die Monatsschrift für Gesellschaftswissenschaft und Volkswirtschaft (später: Monatsschrift für christliche Sozialreform). 1883 veröffentlichte er die erste wirkliche Untersuchung zum Thema Arbeiterschaft in der Habsburgermonarchie, nämlich „Die materielle Lage des Arbeiterstandes in Österreich“. Diese sorgte für beträchtliches Aufsehen, da sie eine empirische Analyse der trostlosen Situation des Industrieproletariats darstellte.

Vogelsang forderte eine Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens aus dem Geist des Christentums. Als pragmatischer Sozialpolitiker war ihm klar, dass die Arbeiterfrage nicht nur eine Aufgabe der christlichen Caritas war, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit an sich, die wiederrum mit Hilfe des Staates durchgesetzt werden sollte. Durch die konservative Regierung von Ministerpräsidenten Graf von Taaffe konnte Vogelsang seinen Vorschlägen in der Sozialgesetzgebung zur Umsetzung verhelfen. Es schlugen sich, seine für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen Ansichten u.a. in der österr. Gewerbeordnungsnovelle (Einführung des Elfstunden-Normalarbeitstages, Nachtarbeitsverbot für Frauen, Sonntagsruhe), im Gesetzesentwurf zur Einschränkung des bäuerlichen Erbrechts, in der Bergbaugesetzesnovelle (in dem für Bergarbeiter bereits Normalarbeitszeiten festgeschrieben wurden) sowie bei der Schaffung von obligator. landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften nieder. Viele Gesetze galten europaweit als Vorbild und sind heute noch Bestandteil der österreichischen Sozialgesetzgebung.

Vogelsang organisierte ab 1888/89 einen Diskussionskreis für Sozialreformer, bekannt geworden als die „Entenabende“ und koordinierte die internationale Kooperation der Sozialreformer bei einer Tagung in Haid (heute Bor, Tschechische Republik). Er war ein wichtiger Vordenker des politischen Katholizismus in Österreich.

Karl von Vogelsang gilt als geistiger Vater der christlich-sozialen Bewegung in Österreich, welche schließlich im Jahre 1893 u.a. von Karl Lueger, dem späteren Bürgermeister von Wien, als „Christlich-soziale Partei“ gegründet wurde. Über die Kontakte von Vogelsang zur Union de Fribourg beeinflusste er nicht unwesentlich die erste große Sozialenzyklika „Rerum novarum“. Diese wurde kurz nach dem Tod von Papst Leo XIII. im Frühjahr 1891 veröffentlicht.

Der Sozialreformer und Vordenker, der Mithilfe des Katholizismus versuchte, die sozialen gesellschaftspolitischen Fragen der Industrialisierung zu beantworten, verstarb am 08. November 1890 aufgrund eines Verkehrsunfalls in Wien.